Ausgeflogen

Sarasu ist 1998 geboren. Als sie eineinhalb Jahre war, brachte ihre Mutter sie zu uns, weil sie gemerkt hatte, dass ihre Tochter nicht auf Ansprache reagierte. Die audiometrischen Tests bestätigten ihre Gehörlosigkeit. Wir halfen ihr die ersten Hörgeräte zu kaufen und die entsprechenden Ohrpass-Stücke anzufertigen, die jedes Mal erneuert werden mussten, wenn ihre Ohren gewachsen sind. Die Familiensituation spitzte sich zu und Sarasus Vater trank mehr und mehr. Ihre Mutter musste arbeiten gehen, obwohl inzwischen eine kleine Schwester geboren war. Deshalb entschieden wir uns, Sarasus Mutter für jeden Tag zu bezahlen, an dem sie ihre Tochter zur Sprachtherapie brachte, was eine Zeitlang sehr gut funktioniert hat. Sarasu bekam täglich Einzelsitzungen mit Selvi. Innerhalb weniger Monate konnte Sarasu alle notwendigen Laute artikulieren, um Tamil zu sprechen. An diesem Punkt halfen wir sie in eine sonderpädagogische Schule in Pondicherry zu integrieren, mit der Idee, ihr eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Unglücklicherweise beging ihr Vater dann Selbstmord und die Mutter bat uns darum ihr zu helfen Sarasu in einem Heim unterzubringen. Ein Jahr später wurde klar, dass es Sarasu in diesem Heim nicht erlaubt wurde ihre Hörgeräte zu tragen und dass sie auch keine Sprachtherapie erhielt. Auf Wunsch der Mutter nahmen wir Sarasu zurück. Leider hatte sie wertvolle Zeit verloren – sie konnte nicht mehr sprechen und das Training musste noch einmal von vorne beginnen. Mittlerweile war das Mädchen außerdem ziemlich hyperaktiv und unkonzentriert. Die häusliche Situation war schrecklich – die Mutter lebte mit ihren Töchtern und sen alten Großeltern in einer winzigen, armseligen Hütte. Glücklicherweise war eine wohlwollende Person aus Auroville bereit, ein kleines solides Haus für die Familie zu bauen. Nach und nach machte Sarasu stetig Fortschritte. Sie wurde konzentrierter und lernte Tamil Lesen und Schreiben. Aus dem Mädchen wurde eine pfiffige Teenagerin mit einem starken Willen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurde sie ins ”Life Education Centre (LEC)” integriert, wo sie eine Ausbildung in Handarbeiten und Schneidern bekommt. Sie wird für ihr Geschick gelobt und hat mit unserer Hilfe eine eigene Nähmaschine bekommen, womit sie mittlerweile in der Lage ist, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem hat Sarasu geheiratet und ist eine stolze Mutter für ihre süße kleine Tochter.

Nishant wurde mit spastischen Muskeln geboren (Zerebralparese). Seine Großmutter brachte Nishant mit fünf Jahren zu uns. Mit Hilfe intensiver Physiotherapie und Gehapparaten war es ihm möglich, erste Schritte zu gehen und kann inzwischen kurze Wege ganz ohne Hilfsmittel laufen. Wegen der schwerwiegenden Spastik seiner Beinmuskeln sieht sein Gangbild nicht besonders elegant aus und Nishant muss fortlaufend krankengymnastische Übungen machen. Nishant hat lange Jahre eine Regelschule besucht, aber er lernt langsam und ist oft unaufmerksam, weshalb er die Prüfungen nicht geschafft hat. Seit 2012 besuchte Nishant auf eigenen Wunsch unser Ganztags-Programm, wo er in Einzelstunden Physiotherapie und eine schulische Grundbildung erhielt. Eine Zeit lang gab es viele Klagen über seine Motivation und seinen mangelnden Fortschritt, doch mit Zuspruch und Geduld kam Nishant mehr aus sich heraus und wurde selbstbewusster, als er Lob und Anerkennung für seine Bemühungen bekam. Nishant hat bei Deepam am handwerklichen Training teil genommen. Besonderes Interesse zeigte er an der Computer Klasse und wollte sich unbedingt draußen bewähren und eine Arbeit finden. 2020 hat Nishant dann, während des lang anhaltenden COVID-Lockdowns, bei Deepam aufgehört und es mittlerweile geschafft die Mittlere Reife nachzuholen. Er ist dabei verschiedene Tätigkeiten ausprobieren und wir wünschen ihm, dass er einen Platz findet, an dem er sich bewährt und er sich wohl fühlt.

Ruthrapathi wurde 2003 gehörlos geboren. Er ist der ältere Bruder von Nivetha, die auch bei Deepam ist. Ihre Eltern sind blutsverwandt, aber der Vater lebt mit einer anderen Frau zusammen und hat sich, seit sie klein waren, nicht um seine Kinder gekümmert. Die Mutter schuftet als Tagelöhnerin auf Baustellen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Ruthrapathi ist nie zur Schule gegangen und war tagsüber sich selbst überlassen und unterernährt. Mit Stolz trug er seine ersten Hörgeräte, die er von uns bekam, als er bereits
acht Jahre alt war. Zu Beginn kam er nur zur Sprachtherapie. Doch bald wurde er in unser Ganztagsprogramm aufgenommen, wo er soziale Kompetenzen lernte – wie abzuwarten, andere zu respektieren und die Toilette zu benutzen. Da er seine Hörgeräte recht spät erhielt, machte er sich immer noch lieber in seiner eigenen Zeichensprache verständlich als zu sprechen. Ruthrapathi hat über die Jahre sehr von den verschiedenen Aktivitäten profitiert, an denen er bei Deepam teilnehmen durfte. In unserem Werkraum hat er sich früh für handwerkliche Tätigkeiten interessiert, ganz besonders für Holzarbeiten. In seiner Nachbarschaft fand sich ein Schreiner, bei dem er mitarbeiten kann. Es ist wundervoll zu sehen, wie er in der Tischlerei Möbelschnitzereien anfertigt. Wir freuen uns, Ruthrapathi als jungen Mann begleiten zu dürfen, der trotz diverser Benachteiligungen seinen Beitrag in der Gesellschaft leistet. Wir bleiben in Kontakt mit ihm und achten darauf, dass er seine Hörgeräte trägt und pflegt.

Vinoth ist 2008 geboren. Er wurde 2012 zu uns überwiesen, weil der Junge nicht sprach und sich nur durch Gesten ausdrückte. Seine Mutter glaubte Vinoth hätte seine Hörfähigkeit durch ein schweres Gewitter verloren, als er drei Jahre alt war. Das klang für uns nicht sehr überzeugend, besonders als wir herausfanden, dass seine Mutter einen Selbstmordversuch unternommen hatte, als sie im fünften Monat mit Vinoth schwanger war. Der Gehörtest (Audiometrie) bestätigte eine schwere Gehörlosigkeit. Vinoth kam eine Zeitlang regelmäßig zu Selvi zur Sprachtherapie. Es ist ein langer Weg, mit Hörgeräten sprechen zu lernen. Am Anfang war er sehr scheu, verweigerte den Augenkontakt und öffnete kaum den Mund. Aber Vinoth machte Fortschritte in unserem Ganztagsprogramm und nahm einige Jahre lang an allen Aktivitäten teil. Auch bekam er weiterhin Einzelstunden für seine Sprachentwicklung und lernte lesen und schreiben und die Grundbegriffe der Mathematik.
Um Vinoth in Zukunft ein eigenständiges Leben zu ermöglichen, haben wir seinen Eltern 2019 geraten, ihn in eine staatliche Gehörlosenschule zu schicken, wo er einen offiziellen Schulabschluss absolvieren kann. Es ist uns schwer gefallen, diesen feinen Jungen gehen zu lassen, auch weil uns klar war, dass er bei uns mehr Aufmerksamkeit und Betreuung bekam und mehr lebenspraktische Fähigkeiten lernen konnte. Wegen seiner Hörgeräte sind wir noch regelmäßig in Kontakt mit ihm und seinen Eltern.

Während des 20 Monate langem COVID-19-Lockdowns der Schulen kam Vinoth wieder für einige Monate zu Deepam und blühte sichtbar auf, da er mehr Aufmerksamkeit bekam als in der regulären Schule. Seine Eltern entschieden dann aber, dass für Vinoths Zukunft ein offizieller Schulabschluss mit Zeugnis Priorität hat. Wegen seiner Hörgeräte sind wir noch regelmäßig in Kontakt mit der Familie.

Ranjith ist 2002 geboren. Mit vier Jahren kam er zu Deepam. Er war in seiner gesamten Entwicklung hinterher und gehörlos. Wie viele unserer Kinder kommt Ranjith aus schwierigen Familienverhältnissen. Sein Vater ist alkoholabhängig und nicht fähig, seine Familie angemessen zu unterstützen. Seine Mutter verdient als Tagelöhnerin den Lebensunterhalt und kann sich deshalb auch nicht genügend um ihre Söhne kümmern.

Bei Deepam wurde Ranjith mit guten Hörgeräten versorgt und bekam intensive Sprachtherapie und die emotionale Fürsorge, die ihm von Elternseite her fehlte. Außerdem konnten wir ihm medizinische Versorgung, gesundes Essen und grundlegende Bildung bieten. Ranjiths Verhalten in der Gruppe war oft schwierig, und wir haben häufig mit ihm und seiner Mutter darüber gesprochen; sein Vater war nie bereit, dazuzukommen. Mittlerweile hat sich Ranjith stabilisiert. In den letzten Jahren hat er sich um den Garten bei Deepam gekümmert und bekam dafür ein Taschengeld. Zweimal pro Woche ging er außerdem zu einem Schreiner-Training und begann abends für einen kleinen Lohn, in der Schreinerwerkstatt eines Nachbarn auszuhelfen. Als Deepam wegen der COVID-19 Pandemie geschlossen werden musste, ist Ranjith ins Vollzeit-Arbeitsleben übergewechselt – bei einem Schreiner aus seiner Verwandtschaft, der versprochen hat, gut für ihn zu sorgen.

Vinoth ist 1989 geboren. Er hat geistige Beeinträchtigungen, einen moderaten Gehörverlust und ist hyperaktiv. Allerdings ist Vinoth sehr geschickt mit den Händen. Vor einigen Jahren hatten wir es geschafft, ihn nach und nach in eine Töpferei zu integrieren, aber die Arbeit dort war zu schwer für ihn und er vermisste die persönliche Fürsorge. Schließlich kamen wir auf die Idee, ihn offiziell zu einem unserem Helfer bei Deepam zu machen, was funktionierte solange er ein wenig Beaufsichtigung bekam. Vinoth hat 7 Jahre lang unseren Garten sauber sauber zu halten und hat dafür ein Taschengeld bekommen. Nun hat Vinoth außerhalb eine Gartentätigkeit gefunden, worüber wir uns sehr freuen und ihm viel Glück für seine Zukunft wünschen.